Vor der Anschaffung eines Hundes wird oft wild über geschlechtsspezifische Unterschiede spekuliert, woran sollten Sie, abseits der allgemeinen Ratschläge, bei der Wahl des Hundegeschlechts nun denken, und was kann Ihre Entscheidung wirklich erleichtern?
Die häufigsten Klischees
Rüde
- dominant
- aggressiv
- muskulös definiert
- muss ständig markieren
- stur
- territorial
- selbstbewusst
Hündin
- anschmiegsam
- tolerant
- aufmerksam
- besser führbar
- ständig läufig
- klug
- liebevoll zu Welpen
- zickig
Die Theorie - Biologische Wesensunterschiede
Jedes Kind weiß: Der Hund stammt vom Wolf ab. Und in der Theorie hat, wie im Wolfsrudel, auch im natürlichen Hunderudel immer die erfahrenste, stärkste Hündin das Sagen - und nicht etwa ein Rüde. Die Hündin zieht die Jungen auf und pflegt, versorgt und erzieht sie. Den Respekt vor Weibchen haben Rüden damit sozusagen schon als Welpen mit der Muttermilch aufgenommen. Und kein noch so selbstbewusster Rüde vergisst jemals diese dominante Mutter. Deshalb sind Rüden Hündinnen gegenüber normalerweise ein Leben lang nachgiebig und achtsam.
Das „schwache“ Geschlecht?
Auch wenn es optisch vielleicht so aussieht: Weibliche Hunde sind somit auf keinen Fall das „schwache Geschlecht“. Wenn es an ihr Territorium geht, können gerade Hündinnen ausgesprochen „rüde“ sein. Da geht es dann ganz kompromisslos und ohne männliche Schaukämpfe gleich ernsthaft zur Sache. Womit auch die Annahme, dass weibliche Hunde von Haus aus leichter zu führen wären, grundsätzlich nicht zu bestätigen ist. Allerdings setzt sich eine Hündin seltener und meist nur im Notfall mit körperlicher Gewalt durch. Meistens löst sie Probleme viel cleverer und sucht sich im Rudel die Unterstützung, die sie für ihre Ziele benötigt. Ihre großen Pluspunkte sind ihre geringere Ablenkbarkeit, ihre Selbständigkeit, Konzentrationsstärke, Wachsamkeit und territoriale Treue.
Der Alpha-Rüde?
Wie schon erwähnt ist der Alpha-Rüde im Rudel nicht allein die Führungskraft. Rüden in einem freilebenden Wolfsrudel sind dafür verantwortlich, die Grenzen des Reviers zu markieren und vor Feinden zu verteidigen. Das Rudel zusammenzuhalten, für die Nahrung und die Reproduktion zu sorgen und bei der Erziehung der Welpen mitzuhelfen. Sie müssen sich im Rudel gegenüber anderen Rüden behaupten und im Ernstfall durchzusetzen wissen. Einige dieser Verhaltensweisen schlagen auch auf unsere Haushunde durch und gehören damit zu ihrem genetisch bedingten Verhaltensmuster. Auch müssen Rüden, vor allem, wenn sie noch jung sind, ihre Kräfte mit anderen messen, um die Möglichkeit ihrer Dominanzfähigkeiten auszuloten und ihren Anspruch auf Paarungspartnerinnen zu markieren.
Die Praxis: sieht oft anders aus!
Soweit die aus der Ahnenreihe abgeleitete Theorie – und jetzt kommt die „Ent-täuschung“: Obwohl es so oder so ähnlich sein kann, wird das Verhalten von Rüde und Hündin nur zu einem geringen Teil durch ihr Geschlecht bestimmt.
Die ausschlaggebenden Faktoren für Charakter und Verhalten:
- Rasseeigenschaften
- Sozialisierung
- Führungseigenschaften des Halters
Hündin: Der „Nachteil“ Läufigkeit
Als einer der „Nachteile“ einer Hündin - zumindest, wenn keine Zucht erfolgen soll - gilt ihre Läufigkeit. Die erste Läufigkeit tritt meist im Alter von 7 – 14 Monaten auf, bei kleineren Hunderassen etwas früher als bei größeren. Von da an ist 2x im Jahr (bei einigen Rassen nur 1x jährlich) und mindestens drei bis vier Wochen lang unkompliziertes Gassi-Gehen quasi unmöglich, denn Rüden aus der ganzen Nachbarschaft belagern das Grundstück. Manche Hündinnen sind in dieser Zeit sensibler und anhänglicher als sonst und für Freizeitaktivitäten außer Haus nur wenig zu begeistern.
Andererseits kann eine noch so folgsame Hündin in dieser Zeit die anerzogenen Verhaltensregeln nur zu gerne vergessen und auf „Wanderschaft“ gehen. Einige Hundedamen entwickeln dabei regelrechte Ausbruchs-Strategien, um zu ihrem Herzensrüden zu gelangen. Gleichzeitig können Vierbeinerinnen ihren Geschlechtsgenossinnen gegenüber besonders gereizt und bissig auftreten. Einige dominante Hündinnen markieren in dieser Zeit auch mit erhobenem Bein, um auf diese Weise ihre Stärke und Attraktivität für die paarungswilligen Rüden zu demonstrieren.
Begleiterscheinungen der Läufigkeit
Von den hündischen Stimmungsschwankungen abgesehen erwarten den Halter weitere Begleiterscheinungen: Es kann sein, dass Sie überall in der Wohnung auf Blutflecken stoßen. Der durch die Belagerung eingeschränkte Gassigang macht die Situation dabei nicht gerade einfacher. Hier können spezielle „Höschen“, erhältlich im Fachhandel, Abhilfe schaffen.
Eine weitere mögliche „Nebenwirkung“ sind Scheinschwangerschaften. Etwa 9 Wochen nach einer Läufigkeit - nämlich dann, wenn im Befruchtungsfall die Welpen geboren werden würden - kann es zu einer Scheinschwangerschaft kommen. Dieses Phänomen ist nicht immer so ausgeprägt, dass es der Hundehalter bemerken muss. Doch bei einigen Hündinnen kann sich die Scheinträchtigkeit zu einem regelrechten Problem für das Tier entwickeln. Die Hündin kann dann unruhig, gereizt, bissig oder appetitlos sein. Körperlich können sich Symptome wie Milchproduktion, Wehen und sogar eine Scheingeburt zeigen. Die betroffene Hündin benimmt sich in dem Fall, als hätte sie tatsächlich Welpen bekommen, und richtet ihre Mutterliebe häufig auf Spielzeug, Kuscheltiere oder Pantoffeln, die sie pflichtbewusst hortet, beschützt und betüddelt. Diese ganze hormonelle Überreaktion ist eine starke Belastung für Ihre Hundedame. Bei extremen Fällen von Scheinträchtigkeit kann daher eine Kastration ratsam sein (siehe unten).
„Rüde“ Reaktionen auf Läufigkeit
Auch Halter von Rüden machen ihre Erfahrungen mit läufigen Hündinnen. Im Prinzip sind Rüden in der Regel das ganze Jahr über an Hündinnen interessiert. Da sie aber normalerweise gelernt haben, vor Weibchen Respekt zu haben, fallen die gegengeschlechtlichen Begegnungen außerhalb der Läufigkeit normalerweise harmlos interessiert und friedlich aus. Sollte jedoch eine läufige Hundedame Ihren Weg kreuzen, sind Appelle an die Erziehung und Vernunft Ihres männlichen Vierbeiners meist erfolglos. Nehmen Sie Ihren Hunde-Herrn am besten gleich an die Leine, denn jetzt gibt es kein Halten mehr. Er will die Dame einfach unbedingt näher kennenlernen! In manchen Fällen kann der „Verliebte“ sogar zuhause noch mit der Verweigerung des Futters reagieren, leidenschaftlich Heulen oder jegliche Form guter Kinderstube verlieren.
Rüde: Das Ärgernis „Markieren“
Was bei der Hündin die Läufigkeit ist, tritt beim Rüden zum ersten Mal in der Pubertät auf. Jetzt wird der junge Hunde-Rabauke vom Hormonrausch regelrecht überrollt! Er muss seine Grenzen austesten und versucht zu dominieren. Das fordert vom Halter Konsequenz und Geduld. Ein weiteres Wolfs-Erbe ist deutliches Imponierverhalten Konkurrenten gegenüber. Rüden spielen den „Macho“, es wird ausgetestet, rumgebrummelt, man(n) umkreist sich mit aufgestellter Rute und schaut, wer sich wie am besten positionieren kann. Glücklicherweise bleibt es oft bei „viel Lärm um Nichts“, dennoch kann es auch zwischen Rüden zu erbitterten Kämpfen kommen.
Falsch markiert: Konflikte mit der Nachbarschaft
Eine Konfrontation anderer Art – nämlich Mensch vs. Mensch - dreht sich dagegen um das ständige und für viele Mitmenschen peinliche Markieren. Dieses instinktive Verhalten von Rüden hat seinen „Sinn“ in der Abgrenzung des Reviers. Doch leider gibt es nicht selten Anlass zum Streit zwischen Hundehaltern und Hausmeistern oder Grundstücksbesitzern, wenn jeden Morgen des Nachbars Tulpenbeet oder die Ecke des Hauseingangs beehrt wird. Dumm ist, dass nun auch jeder andere Rüde aus der Nachbarschaft diese Stelle als „sein“ Revier kennzeichnen muss. Hier liegt die Aufgabe beim Halter: Bringen Sie Ihrem Rüden am besten von Anfang an bei, wo Markieren erlaubt ist und wo nicht - denn ist ein „Checkpoint“ erst einmal etabliert, wird ein Abgewöhnen viel schwieriger. Übrigens: Es ist ein Trugschluss, dass nur Rüden Markieren. Auch manche Hündinnen verteilen gern großzügig Duftmarken im Viertel!
Lösung Kastration?
Das Thema Kastration soll hier nur kurz gestreift werden, da es häufig mit der obigen Fragestellung in Verbindung gebracht wird. In erster Linie dient die Kastration dazu, ungewollte Fortpflanzung zu unterbinden. Häufig wird durch Kastration auch versucht, die „unliebsamen“ Eigenschaften und/oder Verhaltensweisen des jeweiligen Geschlechts zu unterbinden und gleichzeitig Einfluss auf die Charaktereigenschaften, zum Beispiel Aggressivität oder Territorialität, zu nehmen. Ob eine entsprechende Wirkung eintritt, ist völlig fragwürdig und kann mitnichten garantiert werden. Vor einer Kastration sollte sich jeder Halter ausgiebig informieren, denn neben den gewünschten Effekten (z.B. keine Läufigkeit oder Scheinträchtigkeit / kein männliches Aggressionsverhalten, weniger Markieren) kann die Kastration eine ganze Reihe unliebsamer Nebenwirkungen nach sich ziehen. Außerdem gilt es zu bedenken, dass es sich bei diesem Eingriff um eine Operation mit Vollnarkose-Risiko handelt, die außerdem nicht ganz billig ist.
Fazit: Rasse-Eigenschaften wiegen stärker als Geschlecht
Fakt ist, dass Hunde vor allem Individuen sind und ganz unterschiedlich ausgeprägte Charaktereigenschaften zeigen. Die geschlechterspezifische Komponente ist zwar vorhanden, steht jedoch erst an der zweiten oder dritten Stelle der verhaltensbestimmenden Faktoren nach Rasse, Sozialisation und Erziehung.
Beispiel: Eine Dobermann-Hündin wird mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich dominanter sein als ein Windhund-Rüde, ein Golden Retriever-Rüde kann um einiges zugänglicher sein als eine querköpfige Spitz-Hündin, und die sture Terrier-Dame, die alle zwanzig Meter mit gehobenem Bein markiert, verhält sich „männlicher“ als der zivilisierte Doodle-Rüde im Revier.
Der soll es sein
Und wie trifft der werdende Hundehalter nun die beste Wahl?
- Beschäftigen Sie sich als Erstes ausgiebig mit der bevorzugten Rasse.
- Bei Mischlingen lassen Körperbau, Größe und Aussehen naheliegende Schlüsse zu.
- Überlegen Sie, welche Art von Hunde-Temperament und -Charakter zu Ihrer eigenen Person und Lebenssituation passt.
Nachdem Sie nun alle Faktoren geprüft haben, lassen Sie im Zweifel einfach Instinkt und Intuition entscheiden: Kommt ein potentieller Hunde-Gefährte gleich am Anfang schwanzwedelnd auf Sie zu, wissen Sie, dass die Sympathie auf Gegenseitigkeit beruht. Wenn die entsprechende Fellnase dann spontan Ihr Herz berührt, ist der Rest „nur noch“ viel Liebe - und gute Erziehung.