Der „Tatort“: ein verlassenes Gelände, direkt neben dem Hauptbahnhof in Erfurt (Thüringen). Hier sollen bald Millionen investiert werden. Die Deutsche Bahn plant riesige Bürokomplexe und Hochhäuser. Doch bevor auch nur ein einziger Bagger anrollen darf, herrscht hier gespenstische Stille. Nur ein leises Schnüffeln ist zu hören.
Über das Schicksal dieses Mega-Projekts entscheiden derzeit nicht Architekten oder Bauleiter – sondern „Clyde“. Der Bayerische Gebirgsschweißhund arbeitet hochkonzentriert. Er scannt jeden Stein, jedes Moosbüschel, jeden Ast. Plötzlich erstarrt der Hund. Er setzt sich hin und starrt einen Busch an. Sein Körperhaltung sagt unmissverständlich: „Stopp!“
Kein Koks, kein Sprengstoff – sondern Eidechsen
Wer glaubt, Spürhunde bei der Bahn suchen nur nach Drogen oder Bomben, liegt falsch. Clyde ist eine Geheimwaffe des Naturschutzes. Er ist ein Artenschutzspürhund. Seine Mission: Er sucht nach Leben, das für das menschliche Auge fast unsichtbar ist.
„Er ist auf Schlingnattern und Zauneidechsen spezialisiert“, erklärt seine Hundeführerin Marie-Luise Behrens im Spiegel-Interview. Sie zückt sofort ein Tablet, markiert die Fundstelle auf einem Luftbild.
Ein beißender Geruch aus der Kiste
Das Gesetz ist hier gnadenlos: Wenn Clyde fündig wird, müssen die geschützten Tiere erst aufwendig eingefangen und in Ersatzhabitate umgesiedelt werden. Bis dahin stehen die Räder der Baumaschinen still.
Ob auf dem neun Hektar großen Gelände in Erfurt bald gebaut werden darf oder ob erst die Tierschützer anrücken müssen, liegt allein in den Ergebnissen, die Clyde heute erschnüffelt hat.
Der Rüde ist einer von 20 Spezial-Hunden der eigenen Bahn-Staffel. Die Ausbildung zum Artenschutzspürhund ist hart und dauert zwei Jahre.

Ein Hundejob mit harten Regeln
Marie und Clyde sind ein eingespieltes Team, Kollegen auf sechs Beinen. Doch die Arbeit ist anstrengend. „Länger als 20 Minuten am Stück lässt sie ihn nie schnüffeln“, erklärt Marie. Danach braucht der Hund Pause, der Spaß muss erhalten bleiben.
Und noch etwas schwingt bei jedem Einsatz mit: Offiziell ist Clyde „Eigentum“ der Deutschen Bahn. Er lebt zwar bei Marie, doch die Regeln sind strikt. „Wenn ich lange ausfallen würde, zum Beispiel wegen einer Krankheit, müsste ich ihn abgeben“, verrät sie. Ein harter Gedanke für jemanden, der jeden Tag so eng mit einem Vierbeiner zusammenarbeitet.